Autor: Markus Frutig | Geschäftsführer Inoveris
Am 30. – 31. März 2022 findet in der BERNEXPO wieder der nationale Branchentreffpunkt LOGISTICS & AUTOMATION 2022 mit dem Sonderfeature TRANSPORT & DELIVERY statt. 85 Aussteller und Speditionen aus der ganzen Schweiz zeigen ihre Angebotspalette und präsentieren auch neueste Lösungen für den Gütertransport. Im ASTAG-Roundtable Gespräch zum Thema Klima und Umwelt in der Transportbranche gibt Dr. André Kirchhofer, Vizedirektor ASTAG aktuelle Einblicke.
Seit mehreren Jahrzehnten ist eine Leistungssteigerung im Güterverkehr (Tonnenkilometer) zu beobachten – die Nachfrage und der Konsum der Bevölkerung wachsen quasi von Jahr zu Jahr. Auch in der Corona-Krise wurde die Transportbranche als systemrelevanter Bereich gefordert. Der Transport von Gütern wird auch noch in hundert Jahren notwendig sein. Der gesellschaftliche Wandel bewegt sich immer mehr Richtung Nachhaltigkeit – eine enkeltaugliche Welt wird dabei grossgeschrieben.
Herr Kirchhofer, werden wir das Klimaziel des Bundes der Klimaneutralität bis 2050 erreichen? Was unternimmt die Transportbranche bezüglich der CO2-Emissionen konkret?
Dr. André Kirchhofer, Vizedirektor ASTAG: Stand heute kann man nicht vom Klimaziel des Bundes sprechen, sondern nur vom Klimaziel des Bundesrates. Die Netto-Null-Zielsetzung ist bisher in keiner Volksabstimmung legitimiert. Nichtsdestotrotz sind Klima und Umwelt für die Transportbranche wie auch für die ASTAG sehr wichtige Ziele. Selbstverständlich werden wir uns engagieren, um die Emissionen des Transportgewerbes laufend zu reduzieren, so wie man das auch in den letzten Jahren schon sehr intensiv getan hat. Wir dürfen zu diesem Interview in den Räumlichkeiten der Oskar Setz AG zu Gast sein. Hanspeter Setz, während Jahrzehnten als Transportunternehmer tätig, hatte stets eine Vorbildrolle betreffend Umwelt und Technik. Wenn wir diese technikaffine Strategie fortsetzen, bin ich überzeugt, dass wir einen ganz wichtigen Beitrag leisten können, um die Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahren weiter senken zu können.
Wo sehen Sie generell Verbesserungspotenzial hinsichtlich Klima und Umwelt im Schwerverkehr?
Der Schwerverkehr hat in den letzten Jahren sehr viel gemacht. Die Fahrzeugflotten wurden beispielsweise laufend modernisiert. In den letzten zehn Jahren wurde beispielsweise unsere gesamte Flotte umgestellt auf die neuesten Euro-Normen 5 und 6. Das sind gewaltige Investitionen, die getätigt wurden. Und diese Entwicklung wird sich jetzt mit den alternativen Antrieben auch noch fortsetzen.
In diesem Sinne lohnt es sich, die ganze Entwicklung vielleicht auch in einen grösseren Zusammenhang zu stellen. Man muss wissen, dass der Verkehr tatsächlich zu den Bereichen zählt, die welche die CO2-Ziele noch nicht erreicht haben. Aber man muss dann auch genauer hinschauen, von welchem Verkehr wir hier sprechen. Hier ist der Schwerverkehr mit insgesamt nur knapp sechs Prozent an den gesamten CO2-Emissionen der Schweiz beteiligt, während der Privatverkehr den Löwenanteil ausmacht. Wir haben also im Privatverkehr weitaus das grössere Potenzial, CO2-Emissionen zu reduzieren, als im Schwerverkehr. Da muss man schon auch in der Politik ehrlich sein und diese unbequeme Wahrheit auf den Tisch legen. Es bringt der Umwelt relativ wenig, wenn man auf dem angeblichen Schmuddelkind Schwerverkehr herumhackt. Es gilt deshalb, auch andere Verkehrsträger, sprich den Privatverkehr, in die Pflicht zu nehmen.
Kann es der Schwerverkehr schaffen, den CO2-Ausstoss gemäss dem gesetzten Ziel der Klimaresolution – 50 Prozent weniger CO2-Ausstoss gegenüber 1990 – und natürlich Emissionen generell, also auch Schadstoffe, zu minimieren?
Die ASTAG als Verband hat im letzten Mai auf der Delegiertenversammlung einstimmig das Ziel genehmigt, den CO2-Ausstoss bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Der Punkt ist: 50 Prozent von was? Wenn es den spezifischen Ausstoss pro Fahrzeug betrifft, stehen die Chancen sehr gut, weil die Technik da sein wird. Aber der Treiber ist eben nicht nur das Fahrzeug an sich, sondern auch die Nachfrage, die der Konsument schafft. Wenn die Nachfrage so wie heute dauernd steigt und die Fahrzeuge, um alle Güter überhaupt transportieren zu können, mehr und mehr bewegt werden – sprich: mehr Fahrzeug- und Tonnenkilometer zurückgelegt werden –, wird entsprechend auch der CO2-Ausstoss sogar noch weiter zunehmen. Aber wie gesagt, das hängt dann eben nicht am Ausstoss des einzelnen Fahrzeugs, sondern da ist die Nachfrage die entscheidende Grösse.
Und wenn wir insgesamt in der Klima- und Umweltpolitik realistisch sein wollen, müssen wir uns eben schon zugestehen, dass diese Geschichte auch mit Verzicht verbunden ist. Mit Verzicht auf Konsum, mit Verzicht auf Güter, mit Verzicht auf Internet-Bestellungen, auf eCommerce und so weiter. Dass der heutige Lebensstil mit immer weniger Transport möglich sein soll, ist meiner Meinung nach ein Irrglaube.
Von welchen Faktoren hängt das noch ab und wo liegt das Problem?
Das Transportgewerbe hat das in den letzten zehn, zwanzig Jahren vorgemacht. Immerhin wurden die Flotten mehrfach umgestellt, von der Euro-Norm 0 bis zur Euro-Norm 6. Aber das Problem ist, dass die Transportbranche dafür eben nicht belohnt, sondern regelrecht immer wieder abgestraft wurde – mit immer weiteren Abklassierungen und Tarifverteuerungen bei der Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA).
Denn letztlich ging es in diesem ganzen politischen Prozess gar nicht um die Umwelt und um das Klima, sondern darum, möglichst viel Geld aus der Branche zu ziehen, weil dieses Geld dafür verwendet wird, die Schieneninfrastruktur zu finanzieren. Diese Zweckentfremdung von Geldern ist ein riesengrosses Problem, weil dann natürlich nicht mehr das Ziel verfolgt wird, das ursprünglich mit der LSVA beabsichtigt war, sondern ein ganz anderes. Und insofern müssen natürlich die Rahmenbedingungen schon stimmen, sonst kommt es zu Fehlentwicklungen – und unter diesen Fehlentwicklungen leidet am Ende die ganze Branche.
Wo sehen Sie die Transportbranche in zehn Jahren hinsichtlich der CO2-Emissionen?
In zehn Jahren werden wir die Pionierphase, die jetzt noch läuft, abgeschlossen haben. Dann werden wir für alle Einsatzarten alternative Antriebe zur Verfügung haben. Die technischen Mittel werden vorhanden sein, um Mobilität CO2-frei betreiben zu können. Der Punkt wird aber sein: Wie gelangen wir von der Pionierphase in die Phase, wo das Ganze grossflächig betrieben werden kann? Dabei wird sich die Frage nicht nach der Antriebsform stellen, sondern die Frage ist, woher kriegen wir die nötige Primärenergie? Darüber müssen wir diskutieren, wo die Schweiz auch Lösungen finden muss dafür, wie wir genügend Energie beschaffen, um die Mobilität emissionsfrei betreiben zu können und gleichzeitig auch den Energiebedarf in anderen Bereichen abdecken zu können. Das wird die zentrale Herausforderung sein.
Welche Rolle spielen die Lkw-Fahrenden letztendlich bei der Umsetzung der Klimaresolution? Verändert sich allenfalls das Berufsbild?
Das Berufsbild des Fahrers ist bereits heute sehr anspruchsvoll, und jeder Berufsfahrer ist heute schon bestrebt, möglichst wenig Treibstoff zu verbrauchen mittels eines ökologischen Fahrstils. Denn es liegt im Interesse eines jeden Transportunternehmers, die Treibstoffkosten so gering wie möglich zu halten. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Selbstverständlich werden unsere Berufsfahrer alles dafür tun, um einen Beitrag zur Reduktion der CO2-Ausstösse zu leisten.
Sind Sie bezüglich alternativer Antriebe optimistisch eingestellt? Wo sehen Sie die grössten Schwierigkeiten?
Aus Sicht der ASTAG ist das Schweizer Transportgewerbe noch immer sehr, sehr kleinteilig. Das heisst: Die allermeisten Unternehmen haben sehr wenige Fahrzeuge, und da sprechen wir nicht von zehn oder zwanzig, sondern von ein oder zwei Fahrzeugen. Das sind KMU im Sinne von Kleinstunternehmen. Diese Unternehmer stehen vor ganz gewaltigen Herausforderungen, weil sie auf sich allein gestellt sind in der Beurteilung, welche alternative Antriebsform – oder eben nach wie vor Diesel – für sie die beste Antriebsform ist.
Hier sind wir als Verband auch sehr stark gefordert, um unsere Mitglieder in diesem Prozess zu unterstützen. Wir haben bis jetzt eine Evolution gehabt in dem Sinne, dass es eine Euro-Norm nach der anderen gab. Aber was jetzt kommt, ist dann schon eher eine Revolution. Ich habe ganz stark das Gefühl, dass unsere kleinständischen Mitglieder hier sehr viel Unterstützung und Hilfe benötigen, weil sie sonst vom Markt überrollt werden. Ich finde, wir als KMU-Land sollten uns um die bisherige Wirtschaftsstruktur im Transportgewerbe kümmern.
Bildet eine Diversifikation verschiedener ökologischer Antriebsalternativen einen Schlüssel zum Erfolg?
Wer es nicht schafft, diese Umstellung auf alternative Antriebe vorzunehmen, sei es früher oder später, der wird vom Markt überrollt, der wird vom Markt verdrängt. Diese Diversifikation, dass also alternative Antriebsformen eingesetzt werden, diese Entwicklung ist zwingend.
Welcher alternative Antrieb eignet sich für welche Distanzen am besten?
Ganz generell ist es ja spannend, dass die alternativen Antriebe immer längere Distanzen zu bewältigen imstande sind. In zehn, zwanzig Jahren wird die Reichweite mit allergrösster Wahrscheinlichkeit eben keine Rolle mehr spielen. Vor diesem Hintergrund stellt sich dann schon die Frage: Wo ist denn noch der heute so oft beschworene Unterschied zur Schiene?
Heute wird die Strassenmobilität bzw. der Schwerverkehr vor allem wegen der CO2-Emissionen schlechtgeredet. Aber dieser Unterschied wird verschwinden. Und dann wird sich das, was die ASTAG und auch unsere Unternehmer seit Jahren zu vermitteln versuchen, bewahrheiten: dass es eben nicht darauf ankommt, ob ein Gut auf Schiene oder Strasse befördert wird, sondern dass dann die Kundensicht zum Tragen kommt, dass nämlich die Gütermobilität so funktionieren soll, wie es der Kunde wünscht. Dann kommen ganz andere Kriterien zum Zug – oder eben auch nicht mehr zum Zug –, als es heute der Fall ist. Und dann kann die Multi-Modalität hoffentlich ohne ideologische Vorurteile zum Tragen kommen.
Wann sind aus Ihrer Sicht die Wissenschaft und Forschung bereit für diese Transformation? Gibt es hier konkrete Zahlen? Also die Transformation der optimalen Technologien im Gesamtzusammenhang, ökologisch, ökonomisch, politisch und kundenspezifisch korrekt.
Das ist ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess. Wichtig ist einfach, dass der Markt spielt. Wir müssen im Moment im Bereich Wasserstoff feststellen, dass der Markt nicht spielt. Wir haben hier ein Monopol: einen Fahrzeug-Hersteller aus dem Ausland und einen Stromhersteller, reiner Wasserstoff, aus der Schweiz. Diese beiden Systeme funktionieren zusammen. Aber andere Systeme sind eigentlich da nicht zugelassen, und das ist sehr, sehr heikel.
Es wäre sehr gut, wenn weitere Wasserstoffantriebe von anderen Herstellern auf den Markt kämen. Es wäre auch zu begrüssen, wenn andere Treibstoffanbieter ein Tankstellennetz aufbauen und in Betrieb nehmen würden, das auch andere Hersteller zulässt. Es wäre sehr wichtig, dass der Markt hier spielt. Dann würde das Ganze auch noch etwas schneller vorwärtsgehen.
Die TCO (Total Cost of Ownership), die Gesamtkosten eines Geschäftsfahrzeugs in Bezug auf Fahrzeugkilometer, Einsatzstunden und Lebensdauer, spielen bei der Wahl der Flottenstrategie eine massgebende Rolle. Inwiefern beeinflussen die Kosten den Käufer beim Erwerb eines Fahrzeugs mit alternativem Antrieb?
Im Moment muss man ganz klar sagen: Die Anschaffungskosten sind das Gegenargument Nr. 1, warum sich alternative Antriebe zum heutigen Zeitpunkt nicht durchsetzen können. Werfen wir nochmals einen Blick darauf, wie die Branchenstruktur mit diesen vielen KMU aussieht. Ich hatte in letzter Zeit, während der Corona-Pandemie, sehr viele Gespräche mit Transportunternehmen, die geklagt haben, dass sie nicht mehr genug Eigenkapital haben, um die Lizenz zu behalten. Da sprechen wir von einer Eigenkapitaldecke von beispielsweise 15‘000.- Franken.
Wenn ich dann sehe, dass ein Fahrzeug mit alternativem Antrieb drei- bis viermal so teuer ist wie ein herkömmliches Dieselfahrzeug, dann ist es eben schon so, dass sich der kleine Transporteur unweigerlich ein Fahrzeug anschafft, das noch immer mit Diesel fährt.
Sind Subventionen eine Lösung?
Genau deshalb hat die ASTAG auch gesagt, wir sind zwar ein liberaler Wirtschaftsverband, der ohne Subventionen auskommen möchte, aber in diesem Fall braucht es Anschubfinanzierungen, braucht es beim Kauf von Fahrzeugen staatliche Unterstützung – und zwar nicht staatliche Unterstützung, die aus einer fremden Kasse kommt. Denn der Gütertransport auf der Strasse bezahlt pro Jahr aktuell 1,6 Milliarden Franken an LSVA, und zwei Drittel davon fliessen in die Schiene.
Deshalb haben wir während der Debatte um das CO2-Gesetz angeregt, dass von diesen LSVA-Geldern ein Teil in den Klimafonds fliesst, um diese Fahrzeuge zu finanzieren. Das wurde uns von der Bundesverwaltung sehr, sehr rasch und sehr, sehr schnöde abgewiesen. Da war keine Verhandlungsbereitschaft da. Und nicht zuletzt hat uns dies als Verband dazu bewogen, Stellung gegen das CO2-Gesetz zu beziehen. Wenn der Strassentransport schon etwas bezahlt an den Klimaschutz, dann soll dieses Geld auch wieder zurückfliessen, um einen echten Beitrag für die Reduktion der CO2-Emissionen leisten zu können.
Das Schwerpunktthema der LOGISTICS & AUTOMATION und TRANSPORT & DELIVERY lautet «The Future of Logistics»: Wie sehen Sie die Zukunft der Logistik- und Transportbranche? Und was ist Ihre Vision einer umweltverträglichen und nachhaltigen Transporttechnologie?
Aus einer verbandspolitischen bzw. politischen Sicht wäre meine Vision in einem Satz, dass der Transport weniger mit Ideologie fährt und dafür etwas mehr mit alternativen Antrieben unterwegs ist.
Besten Dank für das Gespräch.