Autor: Markus Frutig | Geschäftsführer Inoveris
«Das Warenlager der Zukunft ist sicher, sehr effizient und mit keinen Leerläufen behaftet»
Vom 30. bis 31. März 2022 findet nun in der BERNEXPO wieder der nationale Branchentreffpunkt LOGISTICS & AUTOMATION 2022 mit dem Sonderfeature TRANSPORT & DELIVERY statt. 85 Aussteller und Speditionen aus der ganzen Schweiz zeigen ihre Angebotspalette und präsentieren auch neueste Lösungen für den Gütertransport und für die Intralogistik. Im ILS-Roundtable-Gespräch zum Thema «Wie sieht das Warenlager der Zukunft aus?» gibt Daniel Kupper, Leitung AZL Rümlang/ASFL/SVBL, aktuelle Einblicke in die Herausforderungen für die Intralogistikbranche.
Thema «Digitalisierung & Technologie»
Die Ansprüche an die Lagerlogistik sind in den letzten Jahren gestiegen: Der Online-Handel verzeichnet stetig Zuwächse und die Verbraucher erwarten eine schnelle und reibungslose Warenlieferung – oftmals weltweit. Auch im B2B-Bereich müssen Bestellungen immer schneller abgewickelt werden. Um mit der Konkurrenz mitzuhalten, ist eine effiziente, kostengünstige und fehlerfreie Lagerlogistik deshalb enorm wichtig. Demnach bilden digitale Prozesse innerhalb des Lagers einen wichtigen Baustein für eine zukunftsfähige Unternehmensstrategie. Doch auch schon heute existieren zahlreiche Möglichkeiten für eine digitale Prozessoptimierung innerhalb des Lagers.
Herr Kupper, welche Vorteile sehen Sie in der Entwicklung der Digitalisierung von Warenlagern? Und welchen Einfluss hat diese auf die Effizienz in der Abwicklung von Warenlieferungen oder Personalbedarf?
Daniel Kupper: Die Digitalisierung unterstützt Prozesse, aber vor allem auch Personen bei der Einarbeitung in neue Aufgaben. Das alles mit der Zielsetzung, sich schneller produktiv und selbstständig in den Intralogistik-Prozess einbringen zu können. Die Aufgaben – sprich Arbeit oder Tätigkeit – werden dabei digital abgebildet. Erst nach der digitalen Schulung kann die Einführung am Arbeitsplatz schnell und effizient umgesetzt werden. Zudem wird die eigentliche Infrastruktur nicht durch Anzulernende unnötig belastet.
Welche innovativen Technologien werden bereits standardmässig beim Neubau eines Warenlagers umgesetzt? Welche sind nicht mehr wegzudenken? Wie sehen Sie die Stabilität und die Widerstandsfähigkeit dieser Systeme gegen Hackerangriffe?
Die Automatisierung von Hochregallagern und die ganze Thematik mit den Hackerangriffen sind nicht zu vernachlässigen und stellen eine stetige Bedrohung dar. Wahrscheinlich ist das Risiko aber als verhältnismässig gering einzustufen, da sich die Daten in meist geschlossenen Kreisläufen bewegen. Ebenso sind die meisten Betriebe gut bis sehr gut gegen Angriffe von aussen organisiert.
Kommt man trotz innovativer Technologien und des Einflusses der Digitalisierung hier irgendwann an eine Kapazitätsgrenze? Oder kann das Zukunftswarenlager den Bedarf des wachsenden Onlinehandels vollständig decken?
Die Digitalisierung und innovative Technologien helfen sicher mit, diese Grenze weiter auszudehnen. Die Zukunft wird zeigen, was möglich ist und was nicht. Schlussendlich ist es auch eine wirtschaftliche Komponente, die man nicht vergessen darf. Effiziente Prozesse und der Einsatz modernster Technologien tragen dazu bei, Betriebskosten zu senken und dennoch den Ausstoss zu erhöhen. Davor muss jedoch investiert werden.
Wie beschäftigen Sie sich mit dem aktuellen Thema Verfügbarkeit und Lieferprobleme, und stellen Sie sich jetzt in Ihrem Unternehmen dazu auf?
Auf Ausbildungsebene haben wir damit wenig Berührung. Wir verfolgen jedoch gespannt die Entwicklung zur Thematik Lieferprozesskette auf dem Markt sowie die Entwicklung neuer Technologien. Die Lieferprozesskette wird sicher optimal durch Digitalisierung und innovative Techniken unterstützt. Im Moment stehen noch andere weltpolitische Probleme im Fokus, die die Lieferprozessketten beeinflussen und teils auch behindern, sprich die ganze Coronakrise. Wir werden in ein paar Jahren oder eher mittelfristig sehen, ob wir an die Kapazitätsgrenzen kommen.
Ist besonders für die Schweiz als KMU-Land die Umstellung auf die neuen Technologien und Prozesse eine grosse Herausforderung? Sind kleinere Betriebe überhaupt in der Lage, dem wachsenden Nachfragedruck standzuhalten?
Ich glaube schon, dass kleine Betriebe da mithalten können. Sie müssen sogar, wenn sie sich am Markt behaupten möchten. Es ist nicht nur eine Frage der Grösse, sondern auch eine Frage der einsetzbaren Technologien und wie bezahlbar das Ganze ist. Wenn da die Grossen zuerst vorpreschen, wird es vielleicht für die Kleinen auch bezahlbar. Also ich sehe da keine grosse Einschränkung für kleinere Betriebe. Eher die Herausforderung, dass sie den Anschluss nicht verpassen.
Wenn Sie sich das ideale Warenlager der Zukunft vorstellen, wie würde das aussehen?
Das Warenlager der Zukunft ist sicher, sehr effizient und mit keinen Leerläufen behaftet. Alles, was geplant und organisiert ist, hat Sinn und eine logische, effiziente Reihenfolge, die es zu erfüllen gilt. Ich denke, es ist sehr zentral, dass man umzudenken lernen muss. Also zuerst die Logistik als Gesamtheit mit all ihren Prozessen anschauen, bevor man eine Hülle darum baut. Ich bin sehr gespannt, was da alles passiert und möglich ist. Der Mehrwert der Logistik-Aus- und Weiterbildung, die sich unsere Kunden wünschen, ist, dass die Kursteilnehmenden und Lehrabgänger vor allem auf Stufe BP und HFP in der Lage sind, Prozesse sehr differenziert anzuschauen, und auch fähig sind, diese zu optimieren, also Leerläufe zu erkennen und diese zu bereinigen. Diese hohe Anforderung an die Bildung gilt es zu erfüllen, damit Mehrwert geschaffen werden und der Markt von gut ausgebildetem Personal profitieren kann. Zusammen mit innovativen Produkten der Lieferanten generieren wir für die Betriebe dann den gewünschten Mehrwert. Das Zusammenspiel zwischen einer guten, soliden Ausbildung und dem Einsatz mordernster Technologien bringt den gewünschten Erfolg. Davon bin ich überzeugt.
Ist dies die ideale Zukunft, ein Warenlager ohne Menschen? Entstehen dadurch neue Berufsfelder?
Ich kann mir ein Warenlager ohne Menschen nicht wirklich vorstellen. Viele Aufgaben werden sicher automatisiert, und es werden weniger Personen in der Logistik gebraucht – aber sie werden weiterhin gebraucht. Es entstehen dadurch auch neue Berufsfelder. Die bestehenden werden aber nicht verschwinden; sie werden sich anpassen und weiterentwickeln müssen. Das ist das Schöne an der Logistik: Logistik wird es immer geben und somit auch die damit verbundenen Arbeitsplätze. Man muss mit der Entwicklung wachsen und am Ball bleiben. Das ist im Moment sicher nicht immer einfach und sehr herausfordernd, aber nicht unmöglich.
Und was geschieht mit den bestehenden Berufsbildern innerhalb der Logistikindustrie?
Die Entwicklung des Marktes ist sehr dynamisch. Es geht schon in die Richtung Spezialisierung der Ausprägung der Lager und ihrer Prozesse. Wie das Ganze dann gesteuert, gewartet und unterhalten werden muss und wie auch der menschliche Eingriff dann gestaltet werden soll, wenn etwas nicht funktioniert, wird sich künftig zeigen. Das ist dann schon eher Spezialisten-Tätigkeit. Den klassischen Lageristen, der Pakete aus dem Gestell herausnimmt, wird es über kurz oder lang in dieser Form nicht mehr geben. Die Anforderungen an den Logistiker werden höher. Eine gute, solide und der Situation angepasste Ausbildung hilft mit, dass der Beruf Logistiker weiterhin bestehen bleibt. Es gilt, den Anforderungen und Bedürfnissen der immer schnelleren Entwicklung künftig in der Ausbildung gerecht zu werden und Schritt zu halten.
Thema «Instandhaltung & Sicherheit»
Lagerlogistik 4.0 ist ein wichtiger Baustein innerhalb der Logistik 4.0. und es wäre für Unternehmen fatal, den Einstieg in das digitale Warenlager zu verschlafen. Digitale Technologie beschleunigt Prozesse, sorgt für Kostenersparnisse und eine geringere Fehlerquote: Aspekte, die in Zukunft unerlässlich sein werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Liegt die neue Fehlerquote nicht mehr beim Menschen, sondern in einer unzureichenden Instandhaltung der neuen digitalen Technologien und Prozesse?
Die Fehlerquote liegt nach wie vor beim Menschen. Die intelligenteste Software oder digitalisierte Technologie ist nur so intelligent, wie sie programmiert und entwickelt wurde. Wenn man da bereits Fehler macht, dann macht auch die Maschine unweigerlich Fehler. Das Schöne ist, dass es heute selbstlernende Technologien gibt, die aus Fehlern lernen und diese ausschliessen. Schlussendlich bestimmt aber immer noch der Mensch über Erfolg, Misserfolg oder Fehlerquote. Nicht zu vergessen sind allerdings Fehler bei Maschinen, die aus Verschleiss entstehen. Da hat der Mensch wenig Einfluss.
Wie sieht eine fachgerechte Instandhaltung der Zukunft aus? Welche Rolle spielt hier noch der Mensch?
Die Kooperation der beiden Systeme – Technik und Analyse der Daten und der Mensch, der das interpretieren, lesen und entscheiden kann oder muss – ist relevant. Aus meiner Sicht wird das Zusammenspiel aller Elemente und Bereiche wesentlich sein. Wie sich die Rollenverteilung künftig gestalten wird, werden wir erleben.
Ihre Kurse richten sich an Firmen mit Regalanlagen, die im Rahmen der Arbeitssicherheit Mitarbeitende ausbilden möchten, welche an den Regalanlagen eine periodische Sichtkontrolle durchführen. Der Kurs «Regalexperte/-in ILS» Stufe 1 wurde nun mit dem erstmaligen Einsatz der Virtual Reality Brille (VR) zukunftsweisend weiterentwickelt.
Die Ausbildung zum Regalinspektor beinhaltet sehr viel Theorie, viele Normenkenntnisse und sehr viel Fachkenntnis zum Beispiel bei der Frage, welche Abweichungen wie bewertet werden müssen (Ampelsystem). Wirkungsvoll und kraftvoll umsetzen kann man das nur, wenn man die Theorie mit Praxiserlebnissen verbinden kann. Wollte man das live machen, müsste man für Schulungszwecke ein Lagergebäude erstellen und eine Infrastruktur hineinbauen. Die Infrastruktur – sprich die Regale – wäre dann mit sehr vielen Defekten behaftet, sodass man die Regale nicht für die normale Lagerung nutzen könnte. Oder man müsste dann live im Vollbetrieb den Praxisteil schulen. Dies ist aus Sicht der Arbeitssicherheit und der Beeinträchtigung des laufenden Betriebs nicht ideal. Da drängt sich natürlich eine virtuelle Brille auf. Dort haben wir eine unendliche Spielwiese, die sich laufend ergänzen und ausbauen lässt. In einer App können wir viele Fehler und Abweichungen einbauen, die es in einer Regalanlage in der Realität gibt. So schlagen wir elegant und wirkungsvoll die Brücke zur Praxisausbildung.
Wieso haben Sie sich für den Einsatz einer VR-Brille entschieden, und welche Vorteile bietet die Kombination von Mensch und Technik?
Die ersten Erfahrungen haben gezeigt, dass das eine sehr gute Lösung ist; die Teilnehmenden machen da sehr gerne mit und empfinden das als guten Methodenmix in der Ausbildung. Anfangs hatte ich ein bisschen Bedenken, dass ältere Personen damit Schwierigkeiten haben könnten. Aber es ist genau umgekehrt: Die Älteren konzentrieren sich auf ihren Auftrag, und die Jungen versuchen, das System noch ein bisschen auszureizen. Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit diesen virtuellen Technologien in der Ausbildung. Vielen Dank an die ILS, insbesondere Peter Spycher, für das Vertrauen, das der ASFL SVBL für die Entwicklung der Kurse Regalfachmann und Regalexperte entgegengebracht wurde. Es ehrt mich, dazu den Lead haben zu dürfen.
Thema «Zukunft»
Das Schwerpunktthema der LOGISTICS & AUTOMATION lautet «The Future of Logistics»: Wie sehen Sie die Zukunft der Intralogistik in der Schweiz? Wo sehen Sie mögliche Herausforderungen und Chancen?
Die Welt dreht sich immer schneller, und die grosse Herausforderung wird sein, mit den Entwicklungen Schritt zu halten, vor allem in der Logistik und in der Ausbildung. Ich betrachte die Logistik als Gesamtes, spreche nicht nur von «Inhouse»-Lagerlogistik. Dazu gehören auch andere Bereiche, von der Transport- bis hin zur Entsorgungslogistik. Die Herausforderungen werden immer grösser, schnelllebiger und umfangreicher. Da helfen Digitalisierung und Automatisierung mit, den künftigen Anforderungen vorausschauend zu begegnen und ihnen standzuhalten.
Besten Dank für das Gespräch.